Dritte Option, Kommentar zum Gerichtsurteil

Mit Hilfe der Kampagne „dritte Option“ versucht Vanja, für sich vor Gericht einen 3. Geschlechtseintrag statt „weiblich“ und „männlich“ zu ersteiten – nämlich den Eintrag „inter/divers“.
In der Kampagne geht es vornehmlich um intergeschlechtliche Menschen. Aber natürlich ist so eine dritte Option für mich auch als nichtbinäre Person interessant.

Mehrere Instanzen haben diesen Antrag bereits abgelehnt, jetzt auch der Bundesgerichtshof (BGH). Das Gerichtsurteil wurde in zensierter Form auf der Webseite der Kampagne zur Verfügung gestellt (PDF). Das Hauptargument des BGH ist, dass ja bereits die Möglichkeit besteht, den Geschlechtseintrag einfach leer zu lassen bzw. zu löschen. Das müsse genügen.

Als die Kampagne 2014 gestartet wurde, war das aber noch nicht möglich. Es ist überhaupt erst seit 2013 möglich, bei Neugeborenen in bestimmten Fällen den Geschlechtseintrag einfach leer zu lassen. Dieses Leerlassen-Gesetz ist furchtbar undurchdacht (Link zu Kritik bei zwischengeschlecht.info) und lässt betroffene Personen einfach geschlechtslos – ohne dass die Gesetze daran angepasst wurden, dass jetzt rechtlich geschlechtslose Menschen existieren.

Durch das Gerichtsurteil von 2015 auf den Antrag von „dritte Option“ ist es jetzt möglich, den Geschlechtseintrag auch nachträglich, also als erwachsene Person, löschen zu lassen. Es ist aber unklar, welche Kriterien dafür erfüllt sein müssen, und wie das funktioniert. Alle Ämter, die ich bisher dazu befragt habe, wussten davon nichts.

Für die Kampagne von „dritte Option“ war dieses Urteil nicht befriedigend. Es geht schliesslich um eine dritte Option, nicht um ein Leerlassen. Die Klage wurde also an den Bundesgerichtshof weitergezogen, um dessen ablehnendes Urteil es jetzt hier geht.

Ich finde viele (ok, die meisten) Argumente in diesem Urteil sehr seltsam und nicht stichhaltig. Deswegen möchte ich sie hier kurz Punkt für Punkt durchgehen. Ich fasse die Argumente des Bundesgerichtshofes in meinen eigenen Worten zusammen, weil exakte Zitate zu verwirrend wären. Die Original-Aussagen können hier im zensierten Urteil (PDF) nachgelesen werden.

Der Geschlechtseintrag dieser Person kann nicht zu „inter/divers“ geändert werden, …

1. (Seite 4): .. weil eine Eintragung ins Geburtenregister als „inter“ bzw. „divers“ nach geltendem Recht nicht möglich ist.

Ja natürlich, genau deswegen wurde der Antrag ja gestellt. Ziel ist es, dass das geändert wird, und ein solcher Eintrag in Zukunft möglich ist.

2. (Seite 5): ..weil Geschlechtseinträge für das Familienrecht wichtig sind, und das Familienrecht aber von einem binären Geschlechtersystem ausgeht.

Ja, natürlich tut es das – JEDES deutsche Gesetz, das irgendwie mit Geschlecht zu tun hat, geht aktuell von einem binären System aus. Und genau das müsste eben angepasst werden. Tatsächlich ist das Familienrecht auch jetzt schon nicht mehr aktuell und bräuchte dringend Änderungen.

3. (Seite 6): ..weil das Gleichbehandlungsgesetz zwar auch „zwischengeschlechtliche Menschen“ vor Benachteiligung schützen soll, aber ohne ein „neues Geschlecht“ zu erschaffen.

Das funktioniert so nicht. Solange es Gesetze gibt, die sich auf Geschlecht berufen, und „Geschlecht“ nur weiblich oder männlich sein kann, sind Menschen, die aus diesem System rausfallen, nicht geschützt. Siehe oben, im Familienrecht z.B. gibt es sie gar nicht. Wie soll ich mich zum Beispiel bei einer Diskriminierungsklage auf mein nichtbinäres Geschlecht berufen können, wenn nichtbinäre Geschlechter rechtlich gar nicht existieren?

4. (Seite 6): ..weil es für Leute mit einem 3. Geschlecht keine Regelungen zur Abstammung und zur Partnerschaft gibt.

Die gibt es auch für Leute ohne Geschlechtseintrag nicht.
Eine eingetragene Lebenspartnerschaft geht zum Beispiel nur für „zwei Personen gleichen Geschlechts“. Eine Ehe kann hingegen nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden. Können rechtlich geschlechtslose Personen also weder heiraten noch eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen? Oder nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer anderen rechtlich geschlechtslosen Person eingehen?
Das gilt also also nicht als Argument gegen einen 3. Geschlechtseintrag, sondern ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass die Regelungen zu Abstammung und Partnerschaft dringend überarbeitet werden müssen.

5. (Seite 6 und 7): ..weil der Gesetzgeber jetzt nicht kurzfristig eine Lösung finden könne, dafür brauche es umfassende Anhörungen von Betroffenen und Sachverständigen.

Tatsächlich ist das bereits passiert. Die Stellungnahme zur Situation intersexueller Menschen 2012 des Deutschen Ethikrates war nämlich genau das. Und danach wurde innerhalb ca eines Jahres das Leerlassen-Gesetz von 2013 aus dem Boden gestampft, das von den meisten Betroffenenverbänden als undurchdacht, schädlich und nicht im Sinn der Betroffenen kritisiert wurde.
Das Problem ist also schon einige Zeit bekannt, da ist überhaupt nichts „kurzfristig“, und offenbar war „kurzfristig“ bisher auch kein Hindernis.
Ich begrüsse natürlich den Plan, so eine Neuregelung gut zu durchdenken, und Betroffene und Sachverständige miteinzubinden. Wenn das denn passieren würde. Stattdessen wird eben behauptet, das Leerlassen-Gesetz würde genügen. Und das tut es nicht.

6. (Seite 7 und 8): ..weil Intersexuelle jetzt, da der Geschlechtseintrag nachträglich gelöscht werden kann, nicht mehr in ihren Grundrechten verletzt werden.

Also, zunächst mal ist nicht klar, unter welchen Bedingungen der geändert wird. Diese Bedingungen können durchaus Grundrechte verletzen.
Ausserdem gelten wie gesagt einige bestehende Gesetze nur für Personen, die ein Geschlecht haben, da werden rechtlich geschlechtslose Personen also sehr wohl noch in ihren Grundrechten verletzt.

7. (Seite 8): ..weil ja nur vereinzelt die Meinung vertreten wird, dass der Geschlechtseintrag nicht nachträglich gelöscht werden kann.

DASS diese Meinung überhaupt vertreten wird, zeigt aber, dass es keine Regelung dazu gibt. Bisher ist dieses eine Gerichtsurteil der einzige Hinweis darauf, dass es möglich ist, und der sagt nicht, welche Bedingungen es gibt. Im Bürgeramt wurde mir sogar gezeigt, dass es im System nicht möglich ist, „leer“ anzuklicken, bei einer Person die vor 2013 geboren wurde. Diese „vereinzelten Meinungen“ sind also leider aktuell noch die Norm.

8. (Seite 8): ..weil es im Familienrecht keine Regelungen für Menschen mit dem Geschlecht „inter/divers“ gibt. Dieser Geschlechtseintrag hätte also keinen verfassungsrechtlich bedeutsamen Vorteil gegenüber dem Leerlassen des Eintrags.

Ich verstehe nicht, wie das ein Argument sein soll.
NATÜRLICH bezieht sich das Familienrecht nicht auf ein „inter/divers“-Geschlecht, weil es ja eben davon ausgeht, dass Geschlecht nur binär ist. Das ist wie zu sagen „in diesem Lexikon über Reptilien kommt das neuentdeckte Burgunderkrokodil nicht vor, also existiert das Burgunderkrokodil nicht“. Das Burgunderkrokodil sowie intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen gab es selbstverständlich vorher schon, aber das Gesetz und das Lexikon haben sie eben nicht berücksichtigt. Der Antrag ist dazu da, das zu ändern.
Und es geht doch gar nicht darum, ob der Eintrag „inter/divers“ in punkto Familienrecht einen Vorteil bringt gegenüber dem leeren Geschlechtseintrag. Tatsächlich werden aktuell einfach beide nicht berücksichtigt.
Für die betroffene Person macht es aber persönlich einen Unterschied. Rechtlich geschlechtslos zu sein ist einfach nicht das gleiche wie rechtlich das korrekte Geschlecht zu haben.

9. (Seite 9): ..und das Familienrecht muss nicht geändert werden, weil es der antragstellenden Person ja nicht um die Abstammung oder eine Partnerschaft geht, sondern nur um den Geschlechtseintrag.

Ich verstehe das als: „Bevor rechtlich geschlechtslose Menschen vor Gericht gehen, weil sie rechtliche Probleme mit Abstammung und Partnerschaft haben, wird sich im Familienrecht nichts ändern. Und erst wenn das Familienrecht Menschen mit dem Geschlechtseintrag inter/divers anerkennt, erst dann können wir den Geschlechtseintrag inter/divers anerkennen.“
Das ist doch alles falsch herum?

10. (Seite 9): ..denn laut Transsexuellengesetz (TSG) gebietet es die Menschenwürde zwar, die selbstbestimmte geschlechtliche Identität einer Personen anzuerkennen, aber die Regelungen des TSG gelten hier nicht, denn Transsexuelle sind immer binärgeschlechtlich und Intersexuelle nie.

Dieser Abschnitt ist für mich der furchtbarste am ganzen Urteil.
Zuerst die groben Schnitzer: Selbstverständlich sind trans Menschen nicht alle binär. Hier, ich bin eine nichtbinäre trans Person. Und nur weil das TSG, also das Gesetz, nichtbinäre Menschen nicht berücksichtigt, heisst das nicht, dass Transsexualität sich auf binäre Geschlechter beschränkt. (Das ist wieder das Lexikon-Burgunderkrokodil-Problem von vorhin). Und selbstverständlich sind nicht alle inter Personen nichtbinär. Viele inter Menschen sind Männer und Frauen, einige nutzen sogar das TSG zur Änderung des Geschlechtseintrages.

Was für mich aber ganz subtil schlimm ist an diesem Abschnitt: Es behauptet, die Rechtslage solle so sein, dass die Intimsphäre von trans Personen nicht blossgestellt wird, und dass die Änderung des Geschlechtseintrages nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig ist. Dabei wird ein Urteil von 2011 als Quelle angegeben. Vor diesem Urteil war die Regel, dass der Geschlechtseintrag nur dann geändert wird, wenn die Person sich chirurgisch unfruchtbar machen lässt. Diese unzumutbare Voraussetzung gilt also gerade mal seit 5 Jahren nicht mehr.
Was immer noch gilt: Für die Änderung des Geschlechtseintrages müssen mindestens 3 Fachleute überzeugt werden. Fachleute, die oft sehr rückständige Vorstellungen von Geschlecht haben. Fachleute, die peinliche, Intimsphäre verletzenden Fragen zu Sexualität stellen. Fachleute, die einen Haufen Geld kosten und am Schluss einfach „nein“ sagen können. Seit 2012 besteht offiziell die Forderung, diese Gutachtenpflicht abzuschaffen, weil sie unzumutbar ist. Aber sie besteht immer noch.
Deswegen klingt dieser Abschnitt für mich sehr zynisch.

Ausserdem wirkt die Begründung, als sei Menschenwürde nur für trans Menschen da. Es kann doch nicht sein, dass die selbstbestimmte geschlechtliche Identität von inter Menschen nicht anerkannt wird, nur weil sie sich nicht als „trans“ definieren?
Es wäre ja möglich, einfach das TSG so zu ändern, dass nichtbinäre Geschlechter berücksichtigt werden, und dass es egal ist, ob eine Person inter oder trans (oder beides) ist, wenn sie ihren Geschlechtseintrag ändern möchte.
Oder eben den Geschlechtseintrag abschaffen oder zu einem leeren Feld zu machen, in das jeder Mensch reinschreiben kann was er möchte.

11. (Seite 10): ..weil es die staatliche Ordnung durcheinanderbringen würde.

Ja, die „staatliche Ordnung“ der Zweigeschlechtlichkeit soll aufgebrochen werden. Das ist schon richtig so, das ist das Ziel des Antrags. Ausserdem kann doch die staatliche Ordnung nicht wichtiger sein als die Menschen in diesem Staat?

12. (Seite 10): ..weil Betroffene und Experten sich uneinig sind, was für Intersexuelle das Beste ist.

Aha, aber den Antrag einer EINZELNEN Person abzulehnen, das soll gut sein? Wohlbemerkt, es ist in Deutschland nicht möglich, das anders zu machen. So eine Änderung MUSS von einer Einzelperson oder von der Regierung kommen.
Ausserdem werden sich NIE alle Betroffenen einig sein. Das ist gar nicht möglich, dafür sind wir Menschen zu verschieden. Aber irgendwo muss mal angefangen werden.
Und diesem Antrag stattgeben würde es ganz bestimmt nicht schlimmer machen als das Leerlassen-Gesetz von 2013.

. . .

 

Nun, ich bin was Gerichtsurteile angeht ungefähr auf Laien-Niveau. Vielleicht würden einige der angesprochenen Punkte für eine Fachperson mehr Sinn ergeben, als sie es jetzt für mich taten. Und mir ist auch bewusst, dass der BGH natürlich nicht unglaublich viel Spielraum hat, was die Reaktion auf so einen Antrag angeht.

Aber als betroffene Person macht mich dieses Gerichtsurteil und die Argumente darin wütend. Ich persönlich wäre mit einer Löschung meines Geschlechtseintrages zufrieden. Ich könnte dann zwar immer noch nicht mein korrektes Geschlecht angeben, es wäre immer noch nicht richtig. Aber zumindest auch nicht mehr falsch.

Ich verstehe aber auch alle Leute, denen das nicht reicht.
Mit Vanjas Worten:

„Die aktuelle Lösung keinen Eintrag zu haben ist für mich eben nicht das selbe wie einen passenden Eintrag zu haben. Im Alltag, als Schutz vor Diskriminierung macht es einen Unterschied ob ich sagen kann ‘Ich bin ganz offiziell inter’ oder ob ich mich auf eine Leerstelle berufen muss.“

– Vanja, Pressemitteilung

Das Urteil hingegen klingt wie „das ist uns zuviel, diese Verantwortung wollen wir nicht, sei zufrieden mit dem Bisschen was du bekommen hast, und tu nicht so kompliziert.“
Und das lassen Vanja und die „dritte Option“-Kampagne nicht auf sich sitzen.

Danke dafür!

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Eine Antwort zu Dritte Option, Kommentar zum Gerichtsurteil

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