Dieser Text ist mittlerweile 3 Jahre alt. Heute empfinde ich nicht mehr so wie beschrieben, aber damals war das eine sehr wichtige Erkenntnis für mich und fühlte sich gut und stimmig an.
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Meine zivile Identität
Jedes Mal wenn ich mich online in einem Forum oder einem sozialen Netzwerk registriere, hoffe ich, dass die Frage nach dem Geschlecht optional ist oder wenigstens eine Restkategorie wie „anderes“ oder wenigstens „keine Angabe“ bietet. Aber manchmal ist die Frage obligatorisch und bietet nur binärgeschlechtliche Optionen. Dann werfe ich eine Münze um zu entscheiden wo ich meinen Haken setze, und schwanke zwischen Tränen und Wut. Viele von euch können das sicher nachvollziehen.
Seltsamerweise schmerzt diese Frage im „realen“ Leben nicht so stark. Irgendwie erwarte ich einfach nicht, dass staatliche Behörden oder meine Universität meine wahre Identität kennen. Die haben wichtigeres, um das sie sich kümmern sollten. Klar tut es ein bisschen weh. Aber längst nicht so stark wie in einer Gemeinschaft, in der ich davon ausgehe, dass die Menschen sich für mich persönlich interessieren.
Wenn ich ein Formular ausfülle bin ich nur eine Nummer, keine Person. Dann ist es auch egal ob ich mein Einkommen als exakten Betrag angebe oder gerundet, oder einfach die passendste Kategorie ankreuze. Es ist in Ordnung, dass ich unter „Beschäftigung“ einfach „Studium“ ankreuze, obwohl ich noch zig andere Dinge tue. Und es ist okay dass die Angabe meines Geschlecht nicht ganz zutrifft.
Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich dieses Gefühl anderen Leuten erklären könnte, besonders binärgeschlechtlich denkenden Personen. Ich wollte etwas sagen können wie „schau, wenn ich dieses Geschlecht hier ankreuze, dann ist das für mich wie wenn du [deine Rentenversicherungsnummer / deine Postleitzahl / deine Telefonnummer angeben] würdest. Diese Angabe wurde dir zugewiesen um deine Person identifizieren zu können, aber du identifizierst dich nicht selbst damit.“ Aber mir fiel lange kein guter Vergleich ein.
Und dann kam ich drauf. Mein zugewiesenes Geschlecht ist meine zivile Identität!
So wie Superman nämlich Clark Kent sein muss, um nicht aufzufallen. Wenn er allen gegenüber als Superman geoutet wäre, dann müsste er ununterbrochen irgendwas erklären. Er würde ständig mit blöden Fragen belästigt, die Leute wären verwirrt, manche würden ihn für verrückt erklären oder ihm schlicht nicht glauben. Ein Mensch mit Superkräften würde nicht in ihr Weltbild passen. Also kann er es niemandem sagen, sondern stellt sich als „Clark Kent, Reporter“ vor, wenn er sich anderen gegenüber identifizieren soll.
Natürlich, Freunden die ihn unterstützen kann er es sagen. Und vielleicht gibt es Kampagnen, um Menschen mit Superkräften bekannter zu machen. Und selbstverständlich wird er Millionen Male den Tag retten und irgendwann werden seine besonderen Talente vielleicht doch mal akzeptiert und als normal betrachtet. Aber bis dahin.. wenn Superman sein Leben in Frieden leben will, dann muss er seine zivile Identität aufrechterhalten um nicht aufzufallen.
Mein Clark Kent ist das mir zugewiesene binäre Geschlecht, meine zivile Identität.
Das Bild mit Superman gefällt mir. Wie empfindest Du denn heute dazu?
Danke!
Ich kann nicht wirklich benennen was heute anders ist, nur dass das irgendwie nicht mehr passt..
Ja das Erklären zermürbt mich auch. Dein Vergleich passt wirklich gut.
Ich will einfach nicht akzeptieren, dass wir gezwungen werden, eine Maske zu tragen. Ich werde immer wieder gesagt, mann könne nichts ausser „Herr“ oder „Frau“ bei Formulare eingeben, auch nicht beides weg lassen, wegen „das System“ — aber wir Menschen sollen doch das System für uns arbeiten lassen, und nicht davon kontrolliert werden! Was ist hier los. Manche Tage will ich einfach nicht mehr.